Design für Dinge, Sachen mit Seele

Kreativ. Wie macht Design die Welt besser? Was es dafür braucht, welche Materialien von sich reden machen und wie soziale Aspekte an Relevanz gewinnen.

Von Elke Jauk-Offner

 

Design for a better future. Ein schöner Leitsatz. Doch welche Stoßrichtungen nähren ihn? „Die globalen Herausforderungen an unsere Gesellschaft setzen einen disziplinübergreifenden Ansatz voraus“, konstatiert Anastasija Lesjak, Mitbegründerin und Leiterin von 13&9 Design. „Das beobachte ich auch zunehmend im Kreativbereich. Durch diesen Zugang eröffnet sich ein Spielraum für maßgeschneiderte und oft auch experimentelle Lösungen.“ Statt einer Reaktion auf kurzfristige Anforderungen gehe es in einem holistischen Ansatz darum, Dinge mit Seele zu gestalten – im Kontext von Mensch, Umgebung und Technologie.

 

Kreislauf und Repaircafé

„Ich denke, dass die Arbeit von Designern einen sehr großen Einfluss auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft hat. Design kommuniziert Botschaften durch die Dinge, die uns umgeben, und kann auch Katalysator bei gesellschaftlichen Transformationsprozessen sein“, bekräftigt Florian Sammer, Studiendekan der Fakultät Gestaltung an der New Design University Privatuniversität in St. Pölten. „Interessant ist, dass die Wirtschaft sich mit Design Thinking Strategies bereits an iterativen Entwurfsprozessen orientiert und für Innovationstechniken dynamische Arbeitsweisen für sich entdeckt hat, die im Design immer schon selbstverständlich praktiziert wurden.“

Nachhaltigkeit, Resilienz und Suffizienz sind starke Themen in der Designszene: „Design als Kreislaufprozess, die Einbindung von Re- und Upcycling, die Auseinandersetzung mit ökologischen Materialien und vor allem auch die Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen, unter denen Produkte produziert werden, rücken mehr und mehr in den Vordergrund“, sagt Sammer. Das Bewusstsein für regionales Know-how nehme zu, die Verzahnung von analogen traditionellen mit digitalen, innovativen Produktionstechniken führe zu neuen Lösungsansätzen. Auch bei Studierenden nimmt er wahr, dass dies für die junge Generation einen hohen Stellenwert einnehme. „Zudem nimmt eine kritische Meinung in Bezug auf die Haltbarkeit von Produkten zu. Stichwort: öfter ins Repaircafé gehen.“

Eine der wertvollen Stoßrichtungen bezieht sich für Lesjak auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit, etwas zu gestalten. „Dadurch setzt man sich automatisch mit der Kurz- oder Langlebigkeit auseinander. Ist eine Neuentwicklung immer notwendig, oder gibt es Bestehendes, das weiterentwickelt werden kann? So folgt man nicht ständig neuen Trends, sondern begleitet sein Netzwerk und seine Partner langfristig – in solchen Partnerschaften kommt man an ,Reduce, Reuse and Recycle‘ nicht vorbei, egal wie komplex oder umfassend die Aufgabe ist.“ Das Gleiche gilt für sie in Bezug auf Materialien, die man mit dem Lebenszyklus und in Abhängigkeit von ihrem Einsatzzweck betrachten sollte.

 

Pilz und Löwenzahn

„Dazu gehört ein intensiver Austausch mit Nachhaltigkeitsexperten, aber auch Herstellern, in deren Aufgabenspektrum der Produktionsprozess liegt. Vielleicht ist hier eine holistische Betrachtung notwendig, um Antworten zu finden, ob man ein Material braucht und ob man rein mit den bestehenden Gegebenheiten einer gebauten Umgebung arbeiten kann. Ich horche besonders bei Materialien auf, deren Bestandteile man sortenrein trennen und dem Kreislauf wieder zuführen kann.“ Bei Materialien ortet Sammer den Trend weg von PVC-haltigen Produktkomponenten, von erdölbasierten Stoffen, hin zu Naturmaterialien. „Wir werden in Zukunft auch pilzbasierte Materialien einsetzen. Es zeichnen sich biosynthetische Materialien wie Naturkautschuk aus Löwenzahn ab. Thema ist Textilrecycling für neue Gewebe, aber auch feste Plattenwerkstoffe. Interessant sind neue Technologien, wie selbstreinigende antimikrobielle Beschichtungen für Türklinken oder Tastaturen. Sie könnten auch den Einsatz von chemischen Reinigungsmitteln reduzieren.“

Manuela Hötzl, Architektin und Kuratorin der „Zukunft Design“-Talks bei der „Presse“-SCHAU verweist hier auf das italienische Unternehmen Fiandre, deren Keramiken eine photokatalytische, antibakterielle, antivirale und schadstoffabbauende Wirkung haben. Diese „Active Surfaces“ können in Innen- wie Außenräumen eingesetzt werden und eignen sich etwa für Küchenarbeitsplatten, die sich quasi selbst reinigen. Hötzl sieht zudem eine Renaissance „echter“ und langlebiger Materialien wie Stein oder Holz. Es seien oft weniger neue Firmen, die sich hervortun, als „Unternehmen, die seit Jahrzehnten damit arbeiten“. In der Haustechnik machen Heizanstriche von sich reden, die Wände Wärme abstrahlen lassen: Carbon4 etwa ist eine malbare Wandflächenheizung auf 24 Volt Niederspannung aus Kärnten.

 

3-D-Drucker und Designtool

Beim Interieur erweisen sich freistehende, modulartige Systeme als flexibler als klassische Einbaumöbel. „Es tauchen zudem vermehrt neue Holzwerkstoffe auf, etwa aus Rohstoffabfällen wie Neolignin. Interessant sind auch Recycling-Komposit-Materialien, die aus textilen Abfällen zu hochstabilen Werkstoffen verarbeitet werden können“, sagt Sammer. Zum Einsatz kommen darüber hinaus Naturfasern wie jene der Banane, etwa Bananatex aus dem Hause Qwestion. Und Kartell hat für den Container Componibili ein „Bioplastik“ mittels Fermentationsprozessen der Zuckerrübe entwickelt. Das britische Designerduo Edward Barber und Jay Osgerby produziert wiederum mit On & On einen Stuhl aus rPET – aus recycelten PET-Flaschen. Sammer: „Das ist allerdings nur vorübergehend interessant, denn diese Übergangslösung sollte nicht dazu führen, dass der Bedarf von PET gesteigert wird.“

Hersteller Magis geht ähnliche Wege: Der Bell Chair, entworfen von Konstantin Grcic, besteht aus Industrieabfall und ist zu 100 Prozent recycelbar. Und mit dem Magnesium-Stuhl Vela von Ross Lovegrove tritt Magnesium den Beweis an, leichter und stabiler als Aluminium zu sein, „das könnte eine Alternative für Kunststoffprodukte werden. Zudem könnten Open-Source-Konzepte in Zukunft ermöglichen, einzelne Verschleißteile im 3-D-Drucker als Ersatzteil selbst herzustellen, um Objekte zu reparieren“, erzählt Sammer. „Das geht jedoch nur, wenn das Reparieren als Ersatzteildesign mitgeplant wird. Thonet hat es vor 150 Jahren bewiesen: Die Erfindung des Bugholzstuhls berücksichtigt leichtes Gewicht und kompakten Transport, hohe Robustheit und eine gute Reparaturmöglichkeit.“

Anastasija Lesjak entwickelt im Sinne der Nachhaltigkeit Produkte mit Open End, damit diese von Gestaltern an einen räumlichen Kontext angepasst werden können. „Ein gutes Beispiel ist die modulare Akustik- und Beleuchtungsserie HEX-O und TRIG-O für den Leuchtenhersteller XAL, an der wir jahrelang entwickelt haben. Die Kombinierbarkeit von hexagonalen und trigonalen Licht- und Akustikelementen ermöglicht maßgeschneiderte Lösungen mit einem Serienprodukt, im funktionalen als auch ästhetischen Sinn. Wir wollten Gestaltern ein ,Designtool‘ geben, mit dem jeder seine eigene ,Licht-Akustik-Landschaft‘ planen kann. Für uns ist es ein nachhaltiger Weg, ökologisch wie auch ökonomisch, Produkte so zu entwickeln.“

 

Räume und Muster

Für die promovierte Medizinerin hat gerade im gebauten Raum das Wohlbefinden des Menschen zentrale Bedeutung, „dementsprechend ist für mich die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern prägend“. Einer der Leitgedanken beziehe sich auf die rapide Entwicklung und Nutzung der Kommunikationstechnologie und ihre Wirkung auf Verhalten und Räume. Hier versucht Lesjak in der räumlichen Gestaltung biologische, psychologische und soziale Bedürfnisse zu integrieren.

Gemeinsam mit Richard Taylor von der University of Oregon und seinen Kollegen von der School of Psychology der UNSW Sydney widmet sich Lesjaks Arbeitsgruppe den Ergebnissen seiner jahrzehntelangen Forschung zur Wahrnehmung und den Effekten von bestimmten stressreduzierenden Mustern, die in der Natur vorkommen – und wie man diese in die gebaute Umgebung implementieren kann. „Durch einen unbewussten, automatischen Erkennungsprozess, der als Fractal Fluency beziehungsweise Leichtigkeit des Erkennens bezeichnet wird, werden Relaxationsmechanismen des Körpers in Gang gesetzt.“ Diese Muster finden sich dank Kooperationen mit Herstellern etwa auf Bodenbelägen und Akustikpaneelen.

 

Alter und Austausch

Eine wertschätzende Haltung gegenüber Lebensräumen und Gegenständen ist ein essenzieller Aspekt. „Wir sprechen inzwischen von Preloved-Objekten, weniger von Secondhand, damit wird der Vorbesitz wertvoller konnotiert. Hier findet ein Umdenken statt“, analysiert Sammer. „Materialien, die gut altern können, sind immer nachhaltig, weil der Gebrauch sich einschreiben darf und über die Zeit hinweg den Charakter verstärkt. Dafür muss die Materialermüdung im Designprozess differenziert behandelt werden. Teile, die sich schneller abnützen, sollten leicht austauschbar sein. Das hilft, dass Möbel erhalten bleiben und nur partiell erneuert werden müssen.“

 

Fotocredits: Tonu Tunnel, Fiandre